Mampf und Stampf

Mampf vs. Stampf?

Welche Vor- und Nachteile haben Baby-led-weaning (Baby geleitete Beikost) und Breifüttern?

Viele Eltern meinen, sich für oder gegen eine Art der Beikost entscheiden zu müssen – was ich vollkommen unnötig finde: Ist jetzt püriertes Essen oder Fingerfood zum Selbstessen besser? Konkret fragen sich viele: Gebe ich Brei oder machen wir Baby-led-weaning (BLW = Beikost nach Bedarf oder Babygeleitete Beikost)?

Die Vorteile des Baby-led-weaning liegen vor allem in der Selbstbestimmung, die man dem Baby/Kleinkind überlässt. Da Brust oder Flasche immer noch Hauptnahrungsquelle ist, braucht man normalerweise nicht ständig an Nährstoffmangel zu denken und kann das Kind entspannt seine Neugier ausleben lassen. Sie lernen buchstäblich, die „Dinge selbst in die Hand zu nehmen“, selbst wirksam zu sein, also ein Stück weit auch schon die eigene Ernährung aktiv mit gestalten zu können. Zweitens erfahren sie schon als ganz kleine Kinder, wie sich Lebensmittel anfühlen, unvermischt, als einzelne Sorte riechen, schmecken und sich am besten verzehren lassen. Die Sinneseindrücke sind vielfältiger. Ein weiterer Punkt ist die Berücksichtigung der kindlichen Intuition; das natürliche Sättigungsgefühl, aber auch „das Wissen“ des Babys, was genau an Nährstoffen gerade gebraucht wird (s. Blogartikel „Weiß mein Kind, was es essen muss?“). Es geht um Vertrauen statt Kontrolle. Wenn die Kinder noch ausreichend stillen oder Säuglingsmilch trinken, keine Vorerkrankungen haben und man als stillende Mutter auch weiter gut auf seine Ernährung achtet, ist Baby-led-weaning eine absolut empfehlenswerte Sache. Nachteile ergeben sich am häufigsten dann, wenn Druck („das wird jetzt gegessen!“), Krankheiten, langfristig einseitiges Essen oder Mangelernährung (auch der stillenden Mutter!) im Spiel sind.

Daneben hat auch das Brei-Füttern Vorteile. Der wichtigste Vorteil ist, dass es wahrscheinlich eine Nummer sicherer ist, was die Nährstoffversorgung des Babys betrifft. Denn die Empfehlungen zur Einführung der Breie nach einem Stufenmodell gehen auf verlässliche Forschungsarbeiten, wie die des Instituts für Kinderernährung in Bochum (FKE) zurück. Die Wissenschaftler haben genau untersucht, welche Nährstoffe in welcher Lebensphase von Babys sinnvoll sind und daraufhin Brei-Rezepturen mit den entsprechenden Bestandteilen aus Kohlenhydraten, Fetten, Protein und Mikronährstoffen zusammengestellt[1] Eine ausreichende Nährstoffversorgung wird durch die feine Beschaffenheit von Brei wahrscheinlicher, da Babys davon meistens eine größere Menge essen als von einzelnen stückigen Lebensmitteln. Zweitens ersetzt Mus oder Brei den im Verdauungsprozess vorgeschalteten Schritt des Kauens, um Nahrungsbestandteile für Babys ohne (Backen-)Zähne leicht verfügbar zu machen.

Ist Brei nicht eigentlich unnatürlich, weil so fein püriertes Essen ja eine sehr moderne Zubereitungsart ist?

Nicht umsonst war bzw. ist das Vorkauen von Nahrung für Babys in traditionellen Gesellschaften eine ganz natürliche Form der Beikost (wegen der Übertragung Karies-produzierender Bakterien und Keimen sowie der guten Versorgung mit alternativen Arten der Beikost ist das heute nicht mehr zu empfehlen!) Daneben existieren ja auch von Natur aus weiche Obst & Gemüsesorten wie Bananen, gegarte(r) Kürbis, Kartoffeln, Süßkartoffeln, Auberginen, etc. die beim Essen praktisch sofort zu Brei „zergehen“ – das ist sehr natürlich.
Oft werden die Sauberkeit beim Essen und das geringere Verschluckungsrisiko noch als Vorteile gesehen. Allerdings können Babys mit Brei unter Umständen noch viel größere – pardon – Sauereien als mit Fingerfood anrichten und das Verschlucken verschiebt sich meistens auf ein späteres Alter, wenn Kleinkinder zwangsläufig ihre Erfahrungen mit stückigem Essen machen.

Mampfen statt verkrampfen

Die feine Konsistenz und höhere Nährstoffdichte im Vergleich zu stückigem Essen, bringen auch Nachteile von Brei mit sich: Das Überfüttern stellt ein gewisses Risiko dar, wenn Vorlieben und Sättigung des Kindes nicht genau beobachtet werden. Die in den Rezepten oder Gläschen enthaltenen Mengen müssen nicht immer vollständig aufgegessen werden, verleiten aber dazu zu denken, die vorgegebene Portionsgröße sei genau richtig für das Baby[2]. Zu früh große Portionen Gemüse-/Fleischbrei können das kindliche Verdauungssystem auch stark belasten. Zudem sind die Brei-Fahrpläne sowie regalweise beworbene Brei-Gläschen zwar äußerst praktisch und ab und zu auch Helfer in der Not. Man sollte aber nie verlernen, Rezepte und industriell erzeugte Produkte kritisch zu hinterfragen und immer wieder zu prüfen, ob es zu den individuellen Bedürfnissen des eigenen Kindes passt. Es können sich sonst schnell ungesunde Essgewohnheiten einschleichen. Gleichzeitig habe ich auch eine große Verunsicherung bei vielen Mamas beobachtet, die ihrem Baby gerne Brei geben möchten und feststellen, dass das Baby irgendwie inkompatibel mit dem Stufenmodell ist und z.B. einfach keinen Gemüse-Kartoffel-Fleisch Brei als erste Mahlzeit oder einfach zu einer anderen Tageszeit essen möchte. Es ist absolut erlaubt mit einem anderen Brei anzufangen. Es ist völlig okay, Empfehlungen und Produkte so abzuwandeln und zu nutzen, dass sie zum Baby passen!

Das entscheidende ist, man muss nicht entscheiden

Ganz objektiv betrachtet haben beide Stile Vor- und Nachteile. Auf beiden Wegen können sich Kinder ein gesundes Essverhalten aneignen. Zusammenfassend kann man sagen, dass beim BLW das Kind mit seinen individuellen Fähigkeiten, Vorlieben und dem Bedürfnis nach Autonomie in den Mittelpunkt gestellt wird und eben ausgehend vom Kind Essen probiert und gelernt wird. Selbstbestimmung, Intuition und Vertrauen stehen im Zentrum bei der Frage, wann, wovon, wieviel gegessen wird. Beim Thema Brei und Füttern dagegen sind es vordergründig das (eigene) Wissen, Empfehlungen, Leitsätze von außen wie von Eltern, Ärzten, Fachgesellschaften oder Lebensmittelherstellern, welche im Fokus stehen und den Maßstab bilden, wenn es ums gesunde Essen geht.

Idealerweise schafft man einen Mittelweg, bei dem man die einzigartigen Bedürfnisse und den Entdeckungsdrang von kleinen Kindern im Umgang mit Essen berücksichtigt, dabei aber auch den steigenden Nährstoffbedarf und nicht zuletzt auch die eigenen (körperlichen) Grenzen im Blick behält. Bei BLW muss man eben auch die objektiven Faktoren wie die Frage nach dem Ernährungszustand des Kindes und ggf. der stillenden Mutter beachten, beim Brei-Füttern darf man das Vertrauen in sein Baby mit seinen persönlichen Vorlieben und Fähigkeiten nicht verlieren. Es sind zwei verschiedene Ansätze, die – bewusst und richtig angewendet – jeder für sich einen super Start in die Vielfalt des Essens bieten können. Genauso gut ergänzen sie sich perfekt, um die Vorteile beider Stile für sein Baby zu nutzen.  

[1] Katholisches Klinikum Bochum gGmbH 2022. Fachbereich Kinder- und Jugendmedizin, Forschungsdepartment Kinderernährung. Ernährungsplan für das erste Lebensjahr. https://www.klinikum-bochum.de/fachbereiche/kinder-und-jugendmedizin/forschungsdepartment-kinderernaehrung/praeventive-ernaehrungskonzepte.html

[2] Mierau, S. 2016. Geborgen wachsen. Wie Kinder glücklich groß werden. 4. Auflage, Kösel Verlag.

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