„Mein Sohn isst nicht“
„Mein Baby ist ein schlechter Esser, es probiert nichts neues!“
„Mein Kind sitzt beim Essen nie still – es will immer nur rumlaufen“
„Wie soll ich mein Kind bloß ernähren?“
Viele Eltern sind sehr besorgt um die Ernährung ihrer Kleinkinder. Dass Kinder gut und ausreichend essen, wird als eine der fundamentalen Aufgaben der Elternschaft angesehen, es gibt kaum ein Thema wo junge Eltern so viele Ratschläge und Meinungen erhalten.
Doch auch wenn es bei den Erzählungen von Eltern und Großeltern anders klingen mag, die Diskussion ist alles andere als neu!
Anfang des 20. Jahrhunderts machte die Kinderärztin Clara Davis aufgrund dieser Fragestellung ein Experiment mit dem Ergebnis, dass schon junge Kinder in der Lage sind, die richtigen Lebensmittel in richtiger Menge entsprechend ihres Bedarfs auszuwählen, wenn sie die entsprechende Auswahl erhielten. Davis nannte es „self-selection of diet experiment“. Die Babys zwischen 7-9 Monaten erhielten nicht kombinierte, ungewürzte und naturbelassene Nahrungsmittel. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden diese ausschließlich gestillt, hatten dementsprechend noch keine Nahrungsvorlieben und -gewohnheiten. Die Mahlzeiten waren aus verschiedenen Getreidesorten, Gemüse- oder Obstsorten und Fleischsorten zusammengestellt und wurden ungewürzt und nicht vermischt vorgesetzt. Gerade das vermischte Essen ist für viele Kleinkinder ein Problem, sie essen die einzelnen Komponenten lieber getrennt. In Davis‘ Experiment wurden die Kinder nicht zum Essen überredet, weder durch ein „Essens-Flugzeug“ noch durch ein „Löffelchen für Papa“. Die Kinder durften selbst das Ende der Mahlzeit bestimmen. Während des Experiments wurden die Kinder regelmäßig gewogen sowie Blutwerte bestimmt, auch ihre genaue Aufnahme von Kalorien und Nährstoffen wurde gemessen. Davis führte ein ähnliches Experiment später auch in einer Kinderkrippe über einen längeren Zeitraum durch.
Das Ergebnis war, dass die Kinder sich völlig normal entwickelten, sowohl körperlich als auch in ihrer geistigen Entwicklung. Besonders beeindruckend war, dass ein Kind, welches aufgrund von Kalziummangel an Rachitis litt, sich während des Experimentes vollständig erholte!
Es gab sie also damals, wie heute: scheinbare Lieblingsspeisen, von denen eine Zeit lang ganz viel gegessen wird und die das Kleinkind nach einigen Tagen/Wochen wieder links liegen lässt.
Ein ähnliches Experiment wurde Anfang der 1990er Jahre von der Ernährungswissenschaftlerin Leann Birch mit Vorschulkindern durchgeführt, diesmal jedoch mit stärker verarbeiteten Lebensmitteln. Hierbei wurde allerdings nur auf die Energiemenge, weniger auf den Mikronährstoffgehalt (Vitamine & Mineralstoffe) geachtet. Mit dem Ergebnis: obwohl die Kinder sehr unterschiedliche Mengen zu sich nahmen, nahmen sie ungefähr die gleiche Anzahl Gesamtkalorien zu sich.
Auch wenn die Studie von Davis in heutiger Sicht als unethisch gilt und sicherlich nicht den heutigen Standards entspricht, decken sich die Ergebnisse mit vielen Erfahrungsberichten von Eltern, die heute das Konzept BLW (Baby led weaning), die ‚Baby gesteuerte Beikosteinführung‘ verfolgen
Unser Fazit lautet nicht, dass man Kleinkinder bei der Ernährung vollständig sich selbst überlassen darf, aber wenn das Angebot aus natürlichen, unverarbeiteten Lebensmitteln besteht, sind sie sehr wohl kompetent genug, daraus entsprechend ihres Bedarfs auszuwählen. Eine bewusste Vorauswahl sollten wir als Eltern also schon treffen und unserem Kind eine gewisse Vielfalt aus Fett, Eiweiß, Kohlenhydraten, Vitaminen und Mineralstoffen zur Wahl stellen.
Oder wie es Clara Davis formuliert: „Selbstselektion kann keinen oder nur einen zweifelhaften Wert haben, wenn die Auswahl nur aus minderwertigen Lebensmitteln besteht“.
Quellen:
Clara Davis, “The Self-Selection of Diet Experiment: Its Significance for Feeding in the Home,” Ohio State Medical Journal 34 (1938): no.8, 863–865; Clara Davis, “Results of the Self-Selection of Diets by Young Children,” Canadian Medical Association Journal 41 (1939): 261.
“Take One More Bite for Me”: Clara Davis and the Feeding of Young Children Author(s): Benjamin Scheindlin md Source: Gastronomica, Vol. 5, No. 1 (Winter 2005), pp. 65-69. Published by: University of California Press
Benjamin Spock and Miriam E. Lowenberg, Feeding Your Baby and Child (New York: Pocket Books, 1955), 4–5.
Food portions are positively related to energy intake and body weight in early childhood Author links open overlay panel. Kristen L.McConahyMSHelenSmiciklas-WrightPhDLeann L.BirchPhDDiane C.MitchellMS, RDMary FrancesPiccianoPhD
